Informationen für ÄRZTINNEN UND ÄRZTE

Was ist gemeinsam gut entscheiden?

Schon die alten Griechen haben erkannt: „Einem Arzt, der nichts verschreibt, zürnen die Kranken und glauben, sie seien von ihm aufgegeben“ (Epiktet, um 50 bis 138 n. Chr.). Es ist ein menschlicher Irrtum zu glauben, je mehr Tests und Behandlungen wir bekommen, desto gesünder würden wir. Denn zu viel Medizin kann krank machen. In einer Zeit, in der medizinisch fast alles möglich ist, stehen wir nun vor der Frage: Ist alles, was machbar ist, auch sinnvoll?

Um in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass mehr nicht immer besser ist, wurde die Informationskampagne „Gemeinsam gut entscheiden – Choosing Wisely Austria“ ins Leben gerufen.

Das Ziel von Gemeinsam gut entscheiden?

Das Ziel der Kampagne Gemeinsam gut entscheiden ist es, PatientInnen über Behandlungen und Untersuchungen zu informieren, die zu häufig angewendet werden und sogar schaden können. Im Routinebetrieb der Ordination oder in der Klinik ist die sorgsame und wiederholte Aufklärung der PatientInnen eine beträchtliche, auch zeitliche Herausforderung. Um Sie bei Ihrer täglichen Aufklärungsarbeit zu unterstützen, wählten ExpertInnen der Österreichischen medizinischen Fachgesellschaften Top-Themen aus ihrem jeweiligen Bereich aus. Für diese Empfehlungen fassen wir das Wissen aus aktuellen Studien zusammen und bereiten es für Sie in einer gut verständlichen Sprache auf.

Wie stellen wir sicher, dass die Empfehlungen verlässlich sind?

Choosing-Wisely-Initiativen rund um den Globus haben bereits zahlreiche Empfehlungen veröffentlicht. Wir berücksichtigten für unseren Pool nur jene Empfehlungen, die qualitativ hochwertigen so genannten S3-Leitlinien aus Deutschland entsprechen, oder Empfehlungen, die ein ExpertInnen-Team aus der aktuellsten wissenschaftlichen Literatur in einem nachvollziehbaren Entwicklungsprozess gewonnen hat. Zusätzlich können Fachgesellschaften auch selbst Empfehlungen aus Leitlinien vorschlagen. Im Methodenteil ist der Arbeitsprozess beschrieben.

Wie wählen die Fachgesellschaften die Empfehlungen aus?

Ein Team von ExpertInnen bewertet aus einem Pool aus verlässlichen Empfehlungen die Wichtigkeit von 1 bis 5 (1=am wenigsten wichtig, 5=sehr wichtig). Die Umfrage erfolgt online und anonym, um den Einfluss von einzelnen Mitgliedern des Teams (z.B. des Chefs) auszuschalten. Alle Mitglieder des Teams erhalten das Gesamtergebnis der ersten Umfrage und ihre eigene Bewertung und haben noch einmal die Möglichkeit, eine Bewertung vorzunehmen. Bei sehr unterschiedlichen Bewertungen ist eine Diskussion des Teams hilfreich, bei der sich die Fachleute darauf einigen, welche Empfehlungen am wichtigsten sind, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

Ursachen für die Überversorgung?

Es gibt viele Faktoren, die dazu führen, dass eine Behandlung oder eine Untersuchung zu oft angewendet wird. Häufig erwarten PatientInnen oder Angehörige, dass der Arzt oder die Ärztin eine Behandlung oder eine Untersuchung verordnet. Ein Gespräch darüber, dass es im konkreten Fall nicht nötig ist, eine weiterführende Untersuchung oder ein Medikament zu verschreiben, entspricht oft nicht der Erwartungshaltung.

PatientInnen sind oft wenig informiert, oder sie möchten aus Zeitmangel nicht ein zweites Mal in die Ordination kommen, um zum Beispiel bei einer Verschlechterung eines Atemwegsinfekts doch noch ein Antibiotikum zu erhalten. Nur 30 Prozent der ÖsterreicherInnen wissen darüber Bescheid, dass die meisten Atemwegsinfekte durch Viren ausgelöst werden und dass Antibiotika nicht gegen Viren helfen. Die Zeit für eine Aufklärung ist jedoch knapp. Vor allem Praxen mit sehr vielen PatientInnen oder Praxen in sozial benachteiligten Regionen verschreiben häufiger Antibiotika bei Atemwegsinfekten.

Auch die Sorge vor Behandlungsfehlern führt dazu, dass Behandlungen verordnet werden, die eigentlich nicht notwendig wären. Unsere Kampagne kann Abhilfe schaffen und bietet eine Entscheidungsgrundlage für die klinische Praxis.

Gibt es andere Choosing Wisely Initiativen?

Weltweit gibt es schon in 24 Ländern Choosing-Wisely-Initiativen: in Australien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweiz, Spanien, Schweden, Südkorea, Südafrika und in den USA. In der Schweiz ist die Kampagne bekannt unter „smarter medicine“, im Nachbarland Deutschland unter „Klug entscheiden“. Einmal jährlich findet ein Treffen aller Choosing-Wisely-Initiativen statt, um Forschungsergebnisse vorzustellen und Erfahrungen auszutauschen.