Vorsorgeuntersuchung

Depression erkennen: Früher ist nicht immer besser

Düstere Gedanken?
Sprechen Sie mit Ihrer
Ärztin oder Ihrem Arzt.

Stand: August 2020

Wer an einer Depression erkrankt ist, ist nicht einfach nur schlecht drauf: Antriebslosigkeit, Ängste und Traurigkeit machen es den Betroffenen
unmöglich, ihren Alltag zu bewältigen. An einer Depression erkrankt zu sein, ist für viele mit Scham und dem Gefühl von Schwäche verbunden. Viele Personen zögern, Hilfe zu suchen, obwohl es wirksame Therapien gibt. Nach einer Depression zu suchen, wenn nichts darauf hinweist, macht jedoch keinen Sinn.

Wenn sie keine oder kaum Beschwerden haben, ist es nicht sinnvoll, nach einer möglichen Depression zu suchen.

Denn es gibt keine idealen Tests dafür. Auch wer nur an einer vorübergehenden Verstimmung leidet, kann durch solche Tests die Diagnose Depression bekommen. Das kann nicht nur verunsichern, sondern auch dazu führen, dass nicht notwendige Medikamente verschrieben werden. Außerdem werden mit einer Früherkennungsuntersuchung vor allem leichte Formen der Depression
erkannt. Diese benötigen jedoch oft keine Behandlung. In diesem Fall hilft die Begleitung durch die Hausärztin oder den Hausarzt. Auch Informationsstellen oder Selbsthilfegruppen können helfen.

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Keine Suche nach Depression

„Besser früher als später“ – so heißt es im Volksmund. Das scheint jedoch nicht für die frühzeitige Erkennung einer Depression zu gelten.

Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist es nicht sinnvoll, nach einer Depression zu suchen, wenn noch keine oder kaum Symptome vorliegen. Denn absolut verlässliche Tests gibt es nicht. Durch Früherkennungsuntersuchungen würden viele Personen fälschlicherweise die Diagnose Depression erhalten, obwohl sie nicht erkrankt sind. Zudem werden vor allem Personen mit milder Depression erkannt, die noch keine spezielle Therapie benötigen.

Führt man eine flächendeckende Untersuchung in der Bevölkerung durch, erhalten also viele Personen eine Diagnose und Therapien, die sie gar nicht benötigen. Davon profitiert niemand oder nur wenige. Nebenwirkungen haben diese Therapien trotzdem.

Depression ist mehr als Traurigkeit

Seelische Belastungen empfindet jeder Mensch anders. Zwischen vorübergehender Niedergeschlagenheit und einer depressiven Erkrankung sind die Grenzen oft fließend.

Die Depression ist eine häufige psychiatrische Erkrankung. Trotzdem sind Menschen mit Depression im Alltag oft Vorurteilen ausgesetzt. „Du musst dich einfach mal zusammenreißen!“, „Du bist zu sensibel“ oder „Anderen geht es doch auch mal schlecht!“ – solche Sätze bekommen viele Betroffene zu hören.Außenstehende können oft schwer nachvollziehen, wie sich eine Depression anfühlt.

Die Krankheit äußert sich unter anderem in tiefer Traurigkeit, Antriebslosigkeit und der Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Dazu kommen meist Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Schuldgefühle und Selbstzweifel.

Je nach Ausprägung unterscheidet man die leichte, mittelgradige und schwere Depression. Eine Depression kann auch die Entstehung chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs begünstigen.

Eine sehr schwere Depression kann dazu führen, dass Betroffene sich überfordert fühlen und beruflichen und sozialen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Für manche Menschen ist das Leid so groß, dass sie sich das Leben nehmen.

Was hilft?

Eine Depression wird unterschiedlich behandelt, je nachdem, wie schwer sie ist und welche Probleme sonst noch bestehen.

Bei einer leichten Depression wird die Begleitung durch die Hausärztin oder den Hausarzt empfohlen. Auch leicht zugängliche Angebote wie zum Beispiel Informationsstellen oder qualifizierte, organisierte Selbsthilfegruppen können helfen.

Bei einer mittelgradigen Depression werden Antidepressiva oder Psychotherapie angewendet. Eine Kombination aus beidem ist die Therapie der Wahl bei der schweren und immer wiederkehrenden Depression.

Manchmal ist also nur wenig, manchmal mehr Hilfe notwendig. Um das besser zu verstehen, hilft vielleicht ein Vergleich: Stellen Sie sich vor, Sie möchten mit Ihrem Auto wegfahren, aber Ihnen fehlt der Schlüssel. So sehr sie auch wollen, ohne Autoschlüssel kommen Sie nicht vom Fleck. Bei einer leichten Depression kann es mit etwas Hilfe von außen gelingen, den Schlüssel wieder zu finden – vielleicht ist er ja nur verlegt.

Bei mittelschwerer oder schwerer Depression ist der Schlüssel verloren gegangen. Antidepressiva sowie Psychotherapie können dann als Ersatzschlüssel dienen, um das Auto wieder in Gang zu bringen.

Es gibt keine perfekten Untersuchungen

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden die Anzeichen einer Depression bei vielen Menschen nicht erkannt. Depressiv zu sein, ist für viele mit Scham verbunden und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Deshalb zögern Menschen mit einer Depression häufig, Hilfe zu suchen, obwohl es wirksame Behandlungen gibt. Dies verursacht unnötiges Leid und hohe Belastung, auch für Angehörige.

Genauso passiert es aber auch, dass Menschen nach einer Untersuchung die Diagnose Depression erhalten, obwohl sie nicht daran leiden. Das kann besonders dann passieren, wenn Personen untersucht werden, ohne dass es Hinweise auf eine bestimmte Erkrankung gibt. Bei einer Gesundheitsbefragung in Österreich, die 2014 durchgeführt wurde, gaben 5 von 100 Befragten an, von einer Depression betroffen zu sein. Würden aber alle Personen auf eine Depression hin untersucht werden, würden zusätzlich 10 bis 20 von diesen 100 Personen fälschlicherweise die Diagnose Depression erhalten, obwohl sie gar nicht betroffen sind. Die Folge ist, dass auch Personen behandelt werden, die keine Therapie brauchen. Sie sind unnötig dem Risiko von Nebenwirkungen ausgesetzt.

Medikamente gegen Depression (Antidepressiva) können verschiedene Nebenwirkungen haben. Dazu zählen zum Beispiel Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, sexuelle Funktionsstörungen, Verwirrtheit und Herzrhythmusstörungen. Nebenwirkungen treten bei etwa der Hälfte der behandelten Personen auf.

Auch die Psychotherapie gehört zur Behandlung der Depression. Ob eine Psychotherapie ebenfalls Nebenwirkungen haben kann, wurde bisher nicht ausreichend erforscht.

Nutzen von Früherkennungsuntersuchungen nicht belegt

Früherkennung ist dann wirkungsvoll, wenn man damit eine Krankheit zuverlässig frühzeitig erkennen kann. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn eine frühe Behandlung den Erkrankten mehr nützt als eine spätere, wenn bereits Beschwerden da sind.

Studien haben untersucht, ob Früherkennungsuntersuchungen die Schwere der Depression mildern oder verhindern können, dass sich jemand das Leben nimmt. Dazu wurden die Beschwerden von Menschen, deren Depression frühzeitig erkannt wurde, mit jenen verglichen, die erst später eine Diagnose aufgrund von deutlichen Beschwerden erhielten. Die Studien fanden keinen oder einen nur sehr geringen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Derzeit weist alles darauf hin, dass eine frühzeitige Erkennung einer Depression für die Betroffenen keine spürbaren Vorteile hat.

Sprechen Sie mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt

Wirft Sie gerade etwas aus der Bahn, oder haben Sie schon länger ein Stimmungstief? Im vertrauensvollen Gespräch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt haben auch Fragen zum seelischen Wohlbefinden Platz. Gemeinsam können Sie dann überlegen, ob vielleicht eine Depression der Grund für Ihre Beschwerden sein könnte.

Gut zu wissen:

2014 führte die Statistik Austria im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit eine Gesundheitsbefragung in Österreich durch. Dabei gaben 8 von 100 Erwachsenen an, von einer Depression betroffen zu sein. Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein: 10 von 100 Frauen gaben an, an einer Depression zu leiden, verglichen mit 6 von 100 Männern.

Bei etwa 6 von 100 aller befragten Männer und Frauen hatte eine Ärztin oder ein Arzt die Depression diagnostiziert.

Wie genau ist eine Früherkennungsuntersuchung auf Depression?

Um eine Depression im Rahmen eines Früherkennungsprogrammes zu diagnostizieren, verwenden Ärztinnen und Ärzte verschiedene Fragebögen. Beispiele dafür sind der Patient Health-Questionnaire (PHQ-9) und die Geriatric Depression Scale (GDS-15). Beide gibt es in deutscher Sprache.

Diese Tests sind im Rahmen von Früherkennungsprogrammen nicht sehr verlässlich: Wenn von 100 Österreicherinnen und Österreicher 8 von einer Depression betroffen sind, werden diese mit dem PHQ-9-Test sehr wahrscheinlich auch entdeckt.

Es erhalten jedoch auch Personen fälschlich die Diagnose Depression. Weitere 11 Personen werden als krank eingestuft, obwohl gar keine Depression vorliegt. Ein auffälliges Ergebnis bedeutet also noch lange nicht, dass tatsächlich eine Depression vorliegt. Wenn der Test 100 Personen als depressiv einstuft, liegt er nur bei 40 dieser Personen richtig.

Mit einer Früherkennungsuntersuchung nach einer Depression zu suchen, ist nicht sinnvoll. Das heißt nicht, dass über Sorgen und belastende Gedanken nicht geredet werden sollte. Ihre Hausärztin oder Ihr Hausarzt sind hier gute Ansprechpartner.

Quellen:

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