Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege

Bewegungseinschränkungen: Risiken deutlich

Gitter, Gurte und Co.:
meist nicht notwendig,
manchmal sogar gefährlich,
immer gut zu überlegen.

Bewegungseinschränkungen durch Bettseitenteile und Tische sind häufig – aber in vielen Fällen keine gute Lösung.
Der Einsatz von physischen Bewegungseinschränkungen – bei älteren Menschen im Setting Krankenhaus, aber auch in Pflege- und anderen Gesundheitseinrichtungen – ist keine Seltenheit (1, 2). Die Maßnahmen werden häufig verwendet, um Personen mit herausforderndem oder gefährdendem Verhalten zu schützen, also wenn diese sich verletzen oder eine notwendige Behandlung unterbrechen könnten (3). Das ist gerade bei Personen mit Demenzerkrankungen ein Thema, die dazu neigen „wegzulaufen“.
Die steigende Zahl Demenzkranker stellt nicht nur Pflegende vor große Herausforderungen. Die – zumeist älteren – Menschen vergessen die Benutzung einer Rufanlage oder haben Schwierigkeiten einzuordnen, wo sie sich gerade befinden. Es fällt ihnen schwer, sich in ungewohnter Umgebung zurechtzufinden, und sie versuchen häufig „nach Hause“ zu gehen (4).
Um ihre Bewegung einzuschränken, setzen Pflegende manchmal alltägliche Pflegehilfsmittel wie Bettseitenteile und Therapietische auf Pflegestühlen ein, die ursprünglich ganz andere Zwecke hatten (3, 4). Diese stellen zwar ein Hindernis dar, sind aber keine unüberwindbare Hürde, das Bett zu verlassen (4).
Auch wenn in der Regel gute Intentionen dahinterstehen: Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Demenzkranken sind meist keine gute Lösung.

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Nutzen unklar, Risiken deutlich
Die Maßnahmen sollen zum Beispiel dabei helfen, Stürze zu vermeiden. Allerdings deuten Studienergebnisse darauf hin, dass Bewegungseinschränkungen die Sturzhäufigkeit – anders als erwünscht – wohl nicht senken. Umgekehrt dürfte weniger Bewegungseinschränkung auch nicht zu mehr Stürzen führen (5).
Empfehlungen aus Guidelines lehnen den Einsatz physischer Hindernisse als Maßnahme zur Sturzprävention in Pflegeheimen ab (6). Denn starke oder zu lange dauernde Bewegungseinschränkungen können Schäden verursachen, die im schlimmsten Fall zum Tod führen können (4, 7). Typische Komplikationen sind ein Delir, Inkontinenz, Muskelschwäche oder Dekubitus (3, 8). Betroffene Personen berichten außerdem von körperlichen und psychischen Belastungen und sozialem Unbehagen (3, 9).

Veränderung auf vielen Ebenen
Um Bewegungseinschränkungen zu reduzieren, können Pflegende auf verschiedenen Ebenen ansetzen (3, 10). Auf individueller Ebene sind Gespräche mit An- und Zugehörigen oder anderen Anbieter*innen von Pflege und Betreuung hilfreich. Das Ziel ist hier, mehr über die betroffenen Personen zu erfahren: ihre Routinen, ihr Verhalten oder ihre Pflege, und die Betreuung daran anzupassen (11). Neue Technologien wie Alarm- und Sensorsysteme können die Pflegenden bei der Arbeit unterstützen. Die Geräte sind im Bett oder am Stuhl befestigt und lösen bei Lage- oder Druckveränderungen Alarm aus. Sie senken zwar nicht unbedingt die Sturzhäufigkeit, gelten aber als praktikabel (12) und zeigen frühzeitig an, dass die zu pflegende Person aufstehen möchte.

Auch auf Organisationsebene gibt es unterstützende Maßnahmen:

• die Entwicklung von (berufsgruppenübergreifenden) Strategien zum Umgang mit Bewegungseinschränkungen (11, 13, 14)
• Schulungen der Mitarbeiter*innen (11)
• eine Organisationsstruktur und -kultur zur Förderung einer Pflege und Versorgung, die so weit wie möglich auf Bewegungseinschränkungen verzichtet (11)

Eine besondere Rolle, um diese Praxis zu unterstützen, haben Pflegeexpert*innen oder spezialisierte Teams (4, 15, 16).

In Ausnahmefällen
Manchmal sind körperliche Bewegungseinschränkungen notwendig, etwa um Patient*innen daran zu hindern, durch Unruhe Schäden zur verursachen (17). Auch bei manchen medizinischen Therapien müssen die Personen längere Zeit ruhig im Bett liegen. Auch hier kann eine berufsgruppenübergreifende Suche nach Alternativen dazu beitragen, die Zeit der Bewegungseinschränkung zu verkürzen (4). Wann immer sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, sollten Patientinnen besonders viel Aufmerksamkeit bekommen – nicht zuletzt, um mögliche Auslöser des „unerwünschten“ Verhaltens zu ergründen (7, 11) und entsprechend darauf zu reagieren. Stets sollten die Pflegenden die am wenigsten einschränkende Maßnahme wählen (17).

Mobilität bringt Qualität
Insgesamt zeigen gezielte Programme zur Reduktion von Bewegungseinschränkungen bzw. zur Förderung der Mobilität bei Patient*innen mit Demenz, dass deren Verweildauer im Spital sinkt (18, 19). Auch ist die Lebensqualität mobilerer Personen höher, gerade wenn sie an Demenz leiden (20).

FAZIT:

Pflegende sollten so weit wie möglich vermeiden, ältere Menschen im Krankenhaus oder in Pflegeeinrichtungen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Quellen:

1.      Fletcher K. Use of restraints in the elderly. AACN Clin Issues. 1996;7(4):611-35.

2.      VertretungsNetz, Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung. Jahresbericht 2020: Schlaffer P; 2021 [Available from: https://vertretungsnetz.at/fileadmin/user_upload/2_SERVICE_Berichte/Jahresbericht_2020.pdf.

3.      Abraham J, Hirt J, Richter C, Köpke S, Meyer G, Möhler R. Interventions for preventing and reducing the use of physical restraints of older people in general hospital settings. Cochrane Database Syst Rev. 2022;8(8):Cd012476.

4.      American Academy of Nursing. Don’t use physical restraints with an older hospitalized patient 2015 [Available from: https://higherlogicdownload.s3.amazonaws.com/AANNET/c8a8da9e-918c-4dae-b0c6-6d630c46007f/UploadedImages/docs/Choosing%20Wisely/template%20for%20evidence-physical%20restraints.pdf.

5.      Sze TW, Leng CY, Lin SK. The effectiveness of physical restraints in reducing falls among adults in acute care hospitals and nursing homes: a systematic review. JBI Libr Syst Rev. 2012;10(5):307-51.

6.      Montero-Odasso M, van der Velde N, Martin FC, Petrovic M, Tan MP, Ryg J, et al. World guidelines for falls prevention and management for older adults: a global initiative. Age and Ageing. 2022;51(9).

7.      Akademische Fachgesellschaft für Gerontologische Pflege. Gerontologische Pflege: smartermedicine-ChoosingWiselySwitzerland; 2019 [Available from: https://www.smartermedicine.ch/de/top-5-listen/gerontologische-pflege.

8.      Evans LK, Cotter VT. Avoiding Restraints in Patients with Dementia: Understanding, prevention, and management are the keys. AJN The American Journal of Nursing. 2008;108(3):40-9.

9.      Strumpf NE, Evans LK. Physical restraint of the hospitalized elderly: perceptions of patients and nurses. Nurs Res. 1988;37(3):132-7.

10.   Scheepmans K, Dierckx de Casterlé B, Paquay L, Van Gansbeke H, Milisen K. Reducing physical restraints by older adults in home care: development of an evidence-based guideline. BMC Geriatrics. 2020;20(1):169.

11.   Ermler A, Schmitt-Mannhart R. Freiheit und Sicherheit. Richtlinien zum Umgang mit bewegungseinschränkenden Massnahmen.; 2017.

12.   Medizinische Universität Graz, Landeskrankenhaus-Universitätsklinikum Graz. Evidenzbasierte Leitlinie. Sturzprävention bei älteren und alten Menschen in Krankenhäusern und Langzeitpflegeeinrichtungen Graz 2018 [Available from: https://pflegewissenschaft.medunigraz.at/frontend/user_upload/OEs/institute/pflegewissenschaft/pdf/EBN_Sturzleitlinie.pdf.

13.   Mion LC, Fogel J, Sandhu S, Palmer RM, Minnick AF, Cranston T, et al. Outcomes Following Physical Restraint Reduction Programs in Two Acute Care Hospitals. The Joint Commission Journal on Quality Improvement. 2001;27(11):605-18.

14.   Cosper P, Morelock V, Provine B. Please release me: restraint reduction initiative in a health care system. J Nurs Care Qual. 2015;30(1):16-23.

15.   Sullivan-Marx E, Strumpf N, Evans L, Capezuti E, Maislin G. Effects of an advanced practice nursing intervention with physical restraint use among hospitalized nursing home residents. The Gerontologist. 2003(43 (Special Issue I)).

16.   Flaherty JH, Little MO. Matching the environment to patients with delirium: lessons learned from the delirium room, a restraint-free environment for older hospitalized adults with delirium. J Am Geriatr Soc. 2011;59 Suppl 2:S295-300.

17.   Registered Nurses’ Association of Ontario. Delirium, Dementia, and Depression in Older Adults: Assessment and Care (2nd ed.) 2016 [Available from: https://rnao.ca/bpg/guidelines/assessment-and-care-older-adults-delirium-dementia-and-depression.

18.   Oestergaard AS, Mathiesen MH, Karlsen A, Turtumoeygaard IF, Vahlgren J, Kjaer M, et al. In acutely admitted geriatric patients, offering increased physical activity during hospitalization decreases length of stay and can improve mobility. Translational Sports Medicine. 2018;1(1):46-53.

19.   Lachance C, Wright MD. CADTH Rapid Response Reports.  Avoidance of Physical Restraint Use among Hospitalized Older Adults: A Review of Clinical Effectiveness and Guidelines. Ottawa (ON): Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health; 2019.

20.   Telenius EW, Engedal K, Bergland A. Physical performance and quality of life of nursing-home residents with mild and moderate dementia. International journal of environmental research and public health. 2013;10(12):6672-86.

Ausgewählt von

Expert*innen und erfahrenen Pflegenden aus dem Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege mit Unterstützung des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV). Die Aufgaben und Ziele des ÖGKV umfassen unter anderem die Weiterentwicklung der Pflege in Theorie und Praxis, Förderung der Pflegeforschung und Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen.

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