Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege

Demenz und Delir: zum Verwechseln ähnlich? Bei Verwirrtheit nicht vorschnell auf Demenz schließen.

Demenz oder Delir?
Das ist hier die Frage.

Auf den ersten Blick mögen Patient*innen mit Demenz und Delir ähnlich wirken – doch eine rasche Unterscheidung der Symptome ist äußerst wichtig für den weiteren Krankheitsverlauf. Zahlreiche Instrumente helfen bei der Differenzierung.

Viele Patient*innen in Spitälern und Bewohner*innen von Pflegeheimen gelten als „verwirrt“, also in ihrer Orientierung beeinträchtigt. Auch wenn es etliche Ursachen für Verwirrtheit gibt, sind demenzielle Erkrankungen oder ein Delir(ium) häufige Auslöser. Sind ältere Erwachsene verwirrt, sollte daher nicht automatisch von einer Demenz ausgegangen werden. Es könnte auch eine andere Ursache wie ein Delir vorliegen.

Die Unterscheidung zwischen Demenz und Delir ist nicht immer einfach, und ohne genaue Untersuchung ist ein Delir sogar leicht zu übersehen (1, 2). Erschwerend kommt hinzu, dass die Symptome eines Delirs  kommen und gehen können: Beispielsweise zeigen Betroffene am Morgen keine oder nur wenige Symptome, im Tagesverlauf nehmen diese jedoch zu (3). Da auch lebensbedrohliche Erkrankungen wie eine Sepsis ein Delir auslösen können, ist es äußerst wichtig, schnell zu agieren (1, 3). Ein Delir wirkt sich negativ auf Aufenthaltsdauer (4–6), Krankheitsverläufe, Komplikationen (7), Mortalität und Ressourcenverbrauch (8) aus und kann das Risiko einer Einweisung in die Langzeitpflege erhöhen (3, 7).

Ausführliche Information einblenden

Unterschiede Demenz und Delir
Delir und Demenz können gleichzeitig vorliegen, was die Diagnose erschwert (9). Doch es gibt mehrere Anhaltspunkte, um Demenz und Delir voneinander abzugrenzen:

• Ein Delir tritt eher plötzlich auf, also binnen Stunden oder Tagen, und neigt im Tagesverlauf zu unterschiedlichen Ausprägungen (6). Im Gegensatz dazu entwickelt sich eine Demenz eher langsam, also über einen Zeitraum von Monaten und Jahren (3).
• Wird die auslösende Grunderkrankung behandelt, ist ein Delir üblicherweise vorübergehend. Eine Demenz besteht dauerhaft (3).
• Im Gegensatz zur Demenz ist das Delir in der Regel reversibel und durch nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen behandelbar (8).
• Auch der Bewusstseinszustand kann für die Unterscheidung hilfreich sein: Bei einer Demenz ist das Bewusstsein in der Regel über lange Zeit intakt, beim Delir ist es beeinträchtigt (10).
• Bei einem Delir kommt es eher zu sich abwechselnden Symptomen (10).

Nicht nur die Unterscheidung zwischen Demenz und Delir ist zentral. Für die richtige Behandlung sind auch die Ursachen des Delirs von großer Bedeutung (6). Wertvolle Hinweise liefern eine gründliche Anamnese, körperliche Untersuchungen und das Wissen um die Ausgangssituation der betroffenen Person (1, 10). An- und Zugehörige können bei der Beurteilung des aktuellen geistigen Zustands wertvolle Unterstützung leisten (1). Das frühzeitige Erkennen eines Delirs kann eine angemessene Behandlung beschleunigen und negative Folgen verringern (1).

Wertvolle Instrumente
Es gibt diverse Screening- oder Assessmentinstrumente, um Hinweise auf ein Delir zu konkretisieren. Sie sind für unterschiedliche Settings und Personengruppen geeignet (11).


Besonders häufig angewendet wird das Assessmentinstrument:
• CAM (Confusion Assessment Method) (11)

Beispiele für weitere Instrumente für das Screening oder Assessment eines Delirs (11):
• DRS (Delirium Rating Scale)
• DDS (Delirium Detection Score)
• DOSS (Delirium Observation Screening Scale)
• SQiD (Single Question in Delirium)
• NuDESC (Nursing Delirium Screening Scale) und
• 4A-Test

Für den Intensivstationsbereich:
• CAM-ICU (Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit)
• ICDSC (Intensive Care Delirium Screening Checklist) (7, 11)

Für die Anwendung durch Pflegekräfte im Akut- und Langzeitpflegebereich entwickelt:
• RADAR (Recognizing Acute Delirium As a part of your Routine)
Diese Skala ist für Personen mit und ohne kognitive Einschränkungen geeignet. Sie ist während pflegerischer Routinetätigkeiten anwendbar und gilt als praktikabel und wenig zeitaufwändig (5).

Hintergrundinformation Demenz
Bei Demenzerkrankungen kommt es häufig zu einem fortschreitenden Absterben von Nervenzellen im zentralen Nervensystem. In Österreich sind derzeit Schätzungen zufolge etwa 19 von 1000 Personen an Demenz erkrankt (13).
Typisch für eine Demenz ist die Abnahme der geistigen Fähigkeiten. Zu den häufigsten Symptomen zählen Schwierigkeiten beim Erinnern und logischen Denken sowie Beeinträchtigungen der Orientierung, der Sprache und des Verhaltens (12). Das Bewusstsein ist meist lange Zeit intakt (10, 12).
Eine Demenz macht sich in der Regel schleichend bemerkbar, das heißt, sie tritt nicht akut auf und schreitet mit der Zeit voran. Meistens klagen nicht die an Demenz Erkrankten selbst über Gedächtnisverlust, sondern ihre An- und Zugehörigen berichten zuerst über die Symptome (12).
Es gibt verschiedene Arten von Demenz, etwa die Lewy-Body-Demenz oder die vaskuläre Demenz. Die häufigste Form ist die Demenz vom Alzheimer-Typ: ungefähr 60 bis 80 Prozent der Betroffenen bekommen diese Diagnose (12).

Hintergrundinformation Delir
Wie bei der Demenz ist auch beim Delir (oder Delirium) die Orientierung beeinträchtigt (6). Allerdings ist das Delir ein akuter Zustand, der mit einer schlechteren Aufmerksamkeitsfähigkeit und Bewusstseinsveränderungen einhergeht (6). Die Betroffenen können sich meist kaum konzentrieren und erinnern sich oft nicht an aktuelle Ereignisse (3).
Ein Delir entwickelt sich plötzlich, also binnen Stunden oder Tagen, und neigt im Tagesverlauf zu unterschiedlicher Ausprägung (6). Häufig kommt es zu einer Verschlechterung der Symptomatik in der Nacht (10), was aber nicht mit dem für eine Demenz typischen Phänomen des „Sundownings“ (Verhaltensänderungen am späteren Nachmittag und Abend) verwechselt werden sollte (6).
Die Ursachen für ein Delir sind vielfältig (1). Beispiele sind schwerwiegende medizinische Notfälle wie Infektionen (6), abnormer Blutzucker (1) oder Sauerstoffmangel (7). Weitere mögliche Auslöser sind Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus‘ oder beeinträchtigte Sinneswahrnehmungen (6).
Menschen über 65 haben das höchste Risiko, ein Delir zu entwickeln (3). Das Auftreten ist nicht an ein bestimmtes Setting gebunden: Ein Delir kann sowohl bei Patient*innen in Krankenhäusern und Bewohner*innen von Langzeitpflegeeinrichtungen auftreten als auch bei Personen, die selbstständig daheim leben (3).


Je nach Unruhe und Verwirrtheit lassen sich drei Ausprägungen unterscheiden (3):
• das hypoaktive oder stille Delir
• das hyperaktive Delir
• das Delir mit gemischten Verlaufsformen (7, 10, 14)


Auffällig ist das hyperaktive Delir: Hier kommt es neben der Verwirrtheit häufig auch zu Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Unruhe. Beim hypoaktiven Delir sind Bewusstseinsveränderungen und verlangsamte Bewegungen typisch (10).
Genau Angaben zur Häufigkeit der Delirformen sind schwierig: Das hypoaktive Delir wird vermutlich nicht immer erkannt (10). Die hyperaktive und die hypoaktive Form treten jeweils bei einem Viertel der Patient*innen auf, rund die Hälfte der Betroffenen entwickeln die Mischform (14).
Die Dauer eines Delirs reicht von wenigen Stunden bis hin zu Monaten (3). Manchmal zeigen die Betroffenen aggressive Verhaltensweisen, die zu Verletzungen führen können. Sie können beleidigende Dinge sagen und dazu neigen, wegzulaufen oder sich medizinische Zugänge zu entfernen (3).

FAZIT:

Verwirrt und daher dement – diese Schlussfolgerung stimmt nicht immer. Gehe bei älteren Erwachsenen nicht automatisch von einer Demenzdiagnose aus, wenn sich diese mit einem veränderten mentalen Status und/oder Verwirrungssymptomen vorstellen. Verwende ein kurzes, sensitives und validiertes Beurteilungs-
instrument, um ein Delirium oder ein die Demenz überlagerndes Delirium festzustellen. Für die richtige Behandlung ist eine frühzeitige Einschätzung und Unterscheidung außerordentlich wichtig.

Quellen:

1.      Inouye SK, Westendorp RG, Saczynski JS. Delirium in elderly people. Lancet. 2014;383(9920):911-22.

2.      Steis MR, Fick DM. Delirium superimposed on dementia: accuracy of nurse documentation. J Gerontol Nurs. 2012;38(1):32-42.

3.      Francis J, Young B, Aminoff M, Schmader K, Walterding J. Patient education: Delirium (Beyond the Basics) 2023 [Available from: https://www.uptodate.com/contents/delirium-beyond-the-basics#!

4.      Fick DM, Steis MR, Waller JL, Inouye SK. Delirium superimposed on dementia is associated with prolonged length of stay and poor outcomes in hospitalized older adults. J Hosp Med. 2013;8(9):500-5.

5.      Voyer P, Champoux N, Desrosiers J, Landreville P, McCusker J, Monette J, et al. Recognizing acute delirium as part of your routine [RADAR]: a validation study. BMC Nursing. 2015;14(1):19.

6.      Francis J, B Y, Aminoff M, Schmader K, J W. Diagnosis of delirium and confusional states  [Available from: https://www.uptodate.com/contents/diagnosis-of-delirium-and-confusional-states?search=delirium%20%20and%20acute%20confusional&source=search_result&selectedTitle=1~150&usage_type=default&display_rank=1.

7.      National Institute for Health and Care Excellence: Guidelines.  Delirium: prevention, diagnosis and management in hospital and long-term care. London: National Institute for Health and Care Excellence (NICE); 2023.

8.      Heppner HJ, Zeeh J. Delir oder Demenz? MMW – Fortschritte der Medizin. 2018;160(14):43-7.

9.      Shrestha P, Fick DM. Recognition of Delirium Superimposed on Dementia: Is There an Ideal Tool? Geriatrics. 2023;8(1):22.

10.   Spies M, Frey R, Friedrich M-E, Kasper S, Baldinger-Melich P. Delir – ein evidenzbasierter Überblick. Wiener klinische Wochenschrift Education. 2019;14(1):1-17.

11.   De J, Wand APF. Delirium Screening: A Systematic Review of Delirium Screening Tools in Hospitalized Patients. The Gerontologist. 2015;55(6):1079-99.

12.   Larson EB. Evaluation of cognitive impairment and dementia: UpToDate;  [Available from: https://www.uptodate.com/contents/evaluation-of-cognitive-impairment-and-dementia?search=Evaluation%20of%20cognitive%20impairment%20and%20dementia&source=search_result&selectedTitle=1~150&usage_type=default&display_rank=1.

13.   OECD (2021). Health at a Glance 2021: OECD Indicators, OECD Publishing. Paris 2021 [Available from: https://www.oecd-ilibrary.org/content/publication/ae3016b9-en. 14.          Rabinowitz T. Delirium: an important (but often unrecognized) clinical syndrome. Curr Psychiatry Rep. 2002;4(3):202-8.

Ausgewählt von

Expert*innen und erfahrenen Pflegenden aus dem Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege mit Unterstützung des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV). Die Aufgaben und Ziele des ÖGKV umfassen unter anderem die Weiterentwicklung der Pflege in Theorie und Praxis, Förderung der Pflegeforschung und Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen.

Ein Gesamtdokument mit allen ausführlichen Informationen zur Top-Liste allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege finden Sie hier!