Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege

Folgenreiche Immobilität

Bitte keine Wurzeln schlagen!
Denn zu viel körperliche
Ruhe kann schaden.

Noch immer sind Bett und Stuhl oft die Hauptaufenthaltsorte von Patient*innen in Krankenhaus und Pflegeheim. Doch es gilt, langes Liegen und dauerhaftes Sitzen möglichst zu vermeiden – mit gezielter Mobilisierung. Die Patient*innen profitieren in vieler Hinsicht davon.

Bei einer stationären Aufnahme bekommen Patient*innen ein Bett zugewiesen, das in der Folge mehr oder weniger zum dauerhaften Aufenthaltsort wird. Manchmal scheint es, als ob lange Aufenthalte im Bett oder in einem Stuhl in Krankenhäusern oder Pflegeheimen zwingend seien. Bei bestimmten Symptomen wie Fieber ist es durchaus verständlich (und angeraten), sich wenig(er) zu bewegen – hier ist Bettruhe Teil der Behandlung. Allerdings kann zu viel Inaktivität schnell zu negativen Konsequenzen führen.

Rascher Kraftverlust

Mangelnde Bewegung geht sehr schnell mit Kraftverlust einher (1). Gerade bei älteren Menschen, die ohnehin in der Regel weniger Kraft und Muskelmasse haben als jüngere, verstärkt und beschleunigt Inaktivität diese Effekte (1).

Schon eine kurze Bettruhe erhöht das Risiko für einen erheblichen Rückgang von Muskelkraft und Funktionsfähigkeit stark, zum Teil unumkehrbar (1). Besonders betroffen sind die Beine: Hier kann schon bei jungen, gesunden Menschen schnell ein Viertel der Muskelmasse verloren gehen (2). Nach zehn Tagen Bettruhe ist bei älteren Erwachsenen bereits ein erheblicher Kraftverlust spürbar (1), die Leistungsfähigkeit etwa beim Stiegensteigen deutlich eingeschränkt (3).

Inaktivität in Form von Bettruhe, Sitzen oder eingeschränktem Gehen ist einer der Hauptfaktoren für den Verlust der Gehunabhängigkeit bei älteren Menschen im Krankenhaus (4). Bei etwa zwei Drittel von ihnen verschlechtert sich die Gehfähigkeit während des Spitalsaufenthalts (4, 5), rund 35 Prozent können danach ihre täglichen Aktivitäten nicht mehr so gut ausführen wie davor (6). Auch eine Verlängerung des Spitalaufenthalts, eine Einweisung in eine Langzeitpflegeeinrichtung oder ein höheres Sturzrisiko zählen zu den möglichen Komplikationen eines Verlustes der Gehfähigkeit (4, 5). All dies kann zum Hindernis für die Durchführung von Alltagsaktivitäten werden und geht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Wieder- und Heimeinweisungen einher (1).

Wenn Ruhe schädlich ist

Inaktivität durch langes Liegen und Sitzen kann noch weitere negative Folgen haben – auf körperlicher, psychischer, kognitiver (7) und spiritueller Ebene (8, 9). Zu den Komplikationen von (zu wenig) Bewegung bzw. (zu viel) Bettruhe zählen (10)
• Thrombosen
• Lungenentzündungen
• Appetitverlust
• Schwierigkeiten bei der Ausscheidung
• Angstzustände
• Depressionen
• Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit

Mobilisierung gegen die Abwärtsspirale

Gehen während des Krankenhausaufenthalts und andere frühe Mobilisierungsmaßnahmen sind entscheidend, um die funktionellen Fähigkeiten älterer Menschen aufrecht zu erhalten oder sogar zu verbessern (5, 11). Bei mobileren Patient*innen ist die Aufenthaltsdauer verkürzt, sie haben weniger Schmerzen und andere Symptome (11). Ältere sollten daher, wenn medizinisch zulässig, unbedingt aktiv dazu ermutigt werden, das Bett zu verlassen. Die Förderung der Gehfähigkeit ist entscheidend, um andere körperliche Fähigkeiten zu erhalten – und um pflegenden Angehörigen später nicht einer höheren Belastung auszusetzen (4).

Spezielle Bewegungskonzepte oder Trainings zur Verbesserung von Kraft und Balance haben sich in der Praxis bewährt und werden empfohlen (12). Auch eine gut abgestimmte Zusammenarbeit mit Physiotherapeut*innen ist hilfreich. Manchmal bedarf es einer Anpassung der räumlichen und sozialen Umgebung, gerade in Einrichtungen für Langzeitpflege. Die Umgebung sollte ausreichend Platz für Bewegung bieten, über Hilfsmittel wie Handläufe verfügen und hell sein (13). Soziale Aspekte wie angemessene Kleidung, aktiver Einbezug der An- und Zugehörigen, aber auch ehrenamtliche Helfer*innen können Bewegung fördern (13). Organisatorische Maßnahmen und Initiativen zur Förderung der Mobilität können einen Einfluss auf die selbstständige aktive Bewegung der Betroffenen haben (13) – innovative Projekte wie „Klinikspaziergänge“ können hier inspirieren (14). Auch die Möglichkeit, Gemeinschaftsräume zu nutzen oder gemeinsam zu essen, kann Menschen zur Bewegung motivieren, wobei hier getrennte Räumlichkeiten zu bevorzugen sind (13).

Die positiven Effekte einer guten Mobilisierung sind mannigfaltig. Ältere Personen, die während ihres Krankenhausaufenthalts gehen, erholen sich nach einer Operation schneller, können das Krankenhaus früher verlassen, legen bei der Entlassung weitere Entfernungen zurück und sind bei grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständiger (5).

Bettlägerigkeit schleicht sich langsam ein

Gehen ist eine zentrale menschliche Aktivität. Doch gerade im Alter verlieren viele ihre Mobilität. Oft ist das ein schleichender Prozess – die meisten Menschen werden nicht von einem Tag auf den anderen bettlägerig. Mit wenig Bewegung gehen zunehmender Unterstützungsbedarf, Liegepathologien, Interessenseinengung und der Verlust des Zeitgefühls einher (15). All diese Faktoren scheinen einander zu verstärken (15).

Bettlägerigkeit ist sehr häufig. Daten aus österreichischen Langzeitpflegeeinrichtungen zeigen, dass rund die Hälfte der Bewohner*innen ihr Bett nicht mehr verlässt. Menschen mit einer so genannten Ortsfixierung können sich nicht mehr eigenständig fortbewegen – auch das betrifft mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen (7). Ursachen für eine Bettlägerigkeit sind häufig Immobilität und Instabilität der Körperhaltung, was wiederum Inaktivität begünstigen kann (9). Bettlägerigkeit entwickelt sich in einer Abwärtsspirale (15).

FAZIT:

Lass ältere Erwachsene während ihres Krankenhausaufenthalts nicht im Bett liegen oder nur auf einem Stuhl sitzen und fordere sie nicht zur Bettruhe auf, es sei denn, dies ist medizinisch angezeigt. Körperliche Inaktivität hat viele ungünstige Auswirkungen, unter anderem eine längere Verweildauer im Krankenhaus.

Quellen:

1.      English KL, Paddon-Jones D. Protecting muscle mass and function in older adults during bed rest. Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2010;13(1):34-9.

2.      Trappe TA, Burd NA, Louis ES, Lee GA, Trappe SW. Influence of concurrent exercise or nutrition countermeasures on thigh and calf muscle size and function during 60 days of bed rest in women. Acta Physiol (Oxf). 2007;191(2):147-59.

3.      Kortebein P, Symons TB, Ferrando A, Paddon-Jones D, Ronsen O, Protas E, et al. Functional impact of 10 days of bed rest in healthy older adults. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2008;63(10):1076-81.

4.      Akademische Fachgesellschaft für Gerontologische Pflege. Gerontologische Pflege: smartermedicine-ChoosingWiselySwitzerland; 2019 [Available from: https://www.smartermedicine.ch/de/top-5-listen/gerontologische-pflege.

5.      American Academy of Family Physicians Foundation. Don’t let older adults lie in bed or only get up to a chair during their hospital stay. 2023 [Available from: https://www.aafp.org/pubs/afp/collections/choosing-wisely/219.html.

6.      Covinsky KE, Palmer RM, Fortinsky RH, Counsell SR, Stewart AL, Kresevic D, et al. Loss of independence in activities of daily living in older adults hospitalized with medical illnesses: increased vulnerability with age. J Am Geriatr Soc. 2003;51(4):451-8.

7.      Institut für Pflegewissenschaft. Prävalenzerhebung zur Bettlägerigkeit und Ortsfixierung- eine Pilotstudie 2011 [Available from: https://static.uni-graz.at/fileadmin/Unikid-Unicare/Dokumente/Endbericht_Praevalenzerhebung_2011.pdf.

8.      Choi NG, McDougall GJ. Comparison of depressive symptoms between homebound older adults and ambulatory older adults. Aging & Mental Health. 2007;11(3):310-22.

9.      Schirghuber J, Schrems B. Ortsfixierung und Bettlägerigkeit im Kontext von Gebundenheit (boundedness). Die Entwicklung einer konzeptuellen Begriffsdefinition auf Grundlage einer integrativen Übersichtsarbeit. Pflege. 2018;31(2):87-99.

10.   Rousseau P. Immobility in the aged. Archives of family medicine. 1993;2(2):169.

11.   Pashikanti L, Von Ah D. Impact of early mobilization protocol on the medical-surgical inpatient population: an integrated review of literature. Clin Nurse Spec. 2012;26(2):87-94.

12.   DNQP. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) : Abschlussbericht. „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ Aktualisierung 2020 [Available from: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/qualitaet_in_der_pflege/expertenstandard/20201119_Aktualisierung-Entwurf-Expertenstandard-ExMo.pdf.

13.   Narsakka N, Suhonen R, Kielo-Viljamaa E, Stolt M. Physical, social, and symbolic environment related to physical activity of older individuals in long-term care: A mixed-method systematic review. Int J Nurs Stud. 2022;135:104350.

14.   Chahdi M, Muigg M, Nydahl P, Zegelin A. Klinikspaziergang: Maßnahmen zur Förderung der Mobilität. Klinikspaziergang: Maßnahmen zur Förderung der Mobilität. 2021;23(6):1-7.

15.   Zegelin A. «Festgenagelt sein» – Der Prozess des Bettlägerigwerdens durch allmähliche Ortsfixierung. Pflege. 2005;18(5):281-8.

Ausgewählt von

Expert*innen und erfahrenen Pflegenden aus dem Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege mit Unterstützung des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV). Die Aufgaben und Ziele des ÖGKV umfassen unter anderem die Weiterentwicklung der Pflege in Theorie und Praxis, Förderung der Pflegeforschung und Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen.

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